Der älteste Wohnplatz der Gemeinde Meckenbeuren: Brochenzell

861 Eigileswilare

Unter Berücksichtigung des ungeklärten Nachweises für die Existenz von Kehlen im Jahre 817 n. Chr. (vergl. „Kehlen“) muss Brochenzell als der älteste Wohnplatz innerhalb des Gemeindegebietes von Meckenbeuren angesehen werden. In einer am 1. April 861 in der Kaiserpfalz zu Frankfurt am Main von König Ludwig dem Deutschen ausgestellten Urkunde über den Gütertausch zwischen Graf Konrad vom Linz- und Argengau und dem Kloster St. Gallen wird die Existenz Brochenzells erstmals belegt. Zwar wird der Name Brochenzell selbst nicht in dem Schriftstück genannt; es ist aber nachgewiesen, dass es sich bei „Eigileswilare“ (Eigelsweiler) um die frühere Bezeichnung des Ortes handelt. Nach dieser Urkunde erhielt das Kloster St. Gallen im Tausch linzgauische Besitzungen in Eigelsweiler (mit Kirche) und in „Foraste“ (Forst) sowie ein gerodetes Landstück, das zwischen Eigelsweiler, Forst und „Rotinbähe“ (Rötenbach) im Argengau lag.
Der Nachweis für die Identität von Eigelsweiler = Brochenzell stellt sich aus der Sicht der Geschichtsforschung wie folgt dar:
Von den drei genannten Ortsbezeichnungen ist heute nur noch Rötenbach zu finden und zwar als Bach, der nördlich von Meckenbeuren bei Bruggin die Schüssen mündet. Im 18. Jahrhundert wird auch eine Gemarkung bei Brugg als Ösch Rötenbach bezeichnet. Rötenbach liegt also links der Schüssen, d.h. im früheren Argengau. Eigelsweiler und Forst lagen im Linzgau, demnach rechts der Schüssen. Da nun Brochenzell als einziger Ort in der Umgebung eine alte Kirche besass, und die Wohnungen der frühchristlichen Priester als Zelle bezeichnet wurden, kann mit „cellula“ Eigelsweiler in der Urkunde von 861 nur Brochenzell gemeint sein. Es liegt auch schon im heutigen Namen von Brochenzell (= gebrochene Zelle) begründet, dass der Wohnplatz früher einen anderen Namen hatte und erst nach der Zerstörung der Zelle (1274: „diu gebrocchen Gelle“) die Bezeichnung geändert wurde.
Wie es bei anderen Wohnplätzen in unserer Gegend üblich gewesen ist, dürfte der Name Eigelsweiler von seinem Gründer, der wohl Eigilo geheissen hat, abgeleitet worden sein.
Nach der Urkunde von 861 erhielt das Kloster St. Gallen in Eigelsweiler die Kirche und einen Hof mit den üblichen Gebäuden. Die Bewohner hatten das Recht, im benachbarten Forst Baumaterial und Brennholz zu schlagen und ihr Vieh auf die Weiden zu treiben. Der Name Forst findet sich im Weissenauer Lagerbuch von 1335 in jener Gegend als Forstlehen, und es ist anzunehmen, dass der Wohnplatz Holzbauer, der früher weissenauisch war, Forst geheissen hat.
Wann die „Zelle gebrochen“ ist, geht aus keiner der bekannten Aufzeichnungen hervor. Bis ins 13. Jahrhundert gibt es keine weiteren Urkunden, die den Ort Brochenzell betreffen. 1246 erscheint ein Mann namens Pleban Burkard „in Zell“, der ein Gut seiner Kirche dem Herrmann Gnifting von Raderach im Tausch gegen Güter in Spaltenstein, Walten weiler und Laufenen übergibt. (Dass es sich bei „in Zell“ um Brochenzell handelt, ergibt sich aus der Erwähnung des Gutes zu Spaltenstein unter der Herrschaft Brochenzell von 1401.)
Im Jahre 1274 befand sich Brochenzell in den Händen der Grafen von Heiligenberg. Nach einer am 13. Novemberg 1274 ausgestellten Urkunde, in der erstmals die Bezeichnung „gebrochene Zelle“ erscheint, wird der Schweinetrieb im Wald Schwaderloch geregelt. Das Waldgebiet rechts der Schüssen, das früher von Adelsreute bis zum Bodensee reichte, hiess bis ins 19. Jahrhundert Schwaderloch. Der Name weist wohl auf den Wasserreichtum des Waldes hin (schwadern = plätschern). Als Graf Berthold von Heiligenberg am 25. Mai 1277 seine Burg und Grafschaft mit allen Leuten, Lehen, Rechten und Forderungen für 500 Mark Silber seinem Onkel, dem Grafen Hugo von Werdenberg verkaufte, wurde unter den verschiedenen betroffenen Orten auch „Brobhentel“ in der Urkunde aufgeführt.
1401 begann eine eigenständige Entwicklung der Herrschaft Brochenzell, zu der neben dem namensgebenden Hauptort 8 weitere Wohnplätze zählten (vergl. Abschnitt „Die Herrschaft Brochenzell“). Die Herrschaft gelangte von den Werdenbergern zunächst an den Konstanzer Bürger Ruh, dann an Hans von Hewen und schliesslich an die Grafen von Montfort. Diese verkauften Brochenzell 1447 an das Ravensburger Handelsgeschlecht der Herren von Humpis, die fortan über fast drei Jahrhunderte hinweg die Geschicke der Herrschaft bestimmten (vergl. die Abschnitte „Das Geschlecht der Humpis“ und „Die Humpis als Besitzer der Herrschaft Brochenzell“). Die hohe Gerichtsbarkeit über Brochenzell, die vormals in den Händen der Werdenberger gelegen hatte, gelangte um 1500 an die Landvogtei. Im 16. Jahrhundert liessen die Herren von Humpis das Schloss an der Stelle einer älteren Wasserburg errichten.
Das Kloster Weingarten, das bereits 1710 verschiedene Güter, u.a. die Mühle zu Brochenzell von den Humpis erworben hatte, kam 1721 in den vollständigen Besitz der Herrschaft Brochenzell. Im Jahre 1740 erhielt es auch die hohe Gerichtsbarkeit über die Herrschaft als Pfand von der Landvogtei. In weingartischer Zeit bekamen alle Höfe, die zum Herrschaftsbereich des Klosters gehörten, Heiligennamen.
In Brochenzell waren dies (mit den entsprechenden Lehnbauern):

St. PetrusJoseph Fromlert, Mesner
St. PaulusJohann Brig
St. AndreasGeorg Buechner
St. JacobusJoseph Bärcks
St. JohannJacob Entringer
St. ThomasJohann Ganther
St. Jacob minorChristian Kreuzer
St. PhilippusHans Jerg Kreuzer, Ammann
St. BartholomäusAndreas Lanz
St. MathäusBaptist Rauch
St. SimonAndreas Ruess
St. ThaddäusMartin Sauter
St. MathiasJoseph Schneider
St. SebastianDas Schlossgut, Jerg Kreuzer
St. FranziskusJoseph Buecher

Einer der älteren Herrschaftssitze war wohl der im 18. Jahrhundert als „Steinhaus“ bezeichnete Hof St. Mathäus.
Brochenzell blieb bis zur Aufhebung des Klosters bei Weingarten und gelangte 1803 mit dem gesamten Klosterbesitz an die Grafen von Nassau-Oranien. Ein Jahr später kam Brochenzell an Österreich und 1805 an die Krone Württemberg. Brochenzell zählte in württembergischer Zeit zur Schultheisserei und späteren Gemeinde Ettenkirch, die 1937 aufgelöst wurde. Seit 1937 ist Brochenzell Bestandteil der Gemeinde Meckenbeuren.
Im Jahre 1836 hatte Brochenzell 167 Einwohner. Die Zahl stieg bis zum Jahre 1910 auf 330 Personen an.



Brochenzell und seine Herren

Die Herrschaft Brochenzell

Das Gebiet westlich der unteren Schüssen, der Linzgau also, gehörte seit alters her zum Besitz der Grafen von Heiligenberg. Brochenzell bildete offenbar schon vor Ende des Jahrhunderts einen selbständigen Niedergerichtsbezirk. Mit dem gesamten Linzgau kam Brochenzell 1277 von Berthold von Heiligenberg an dessen Oheim Graf Hugo von Werdenberg.
Die eigenständige geschichtliche Entwicklung der Herrschaft Brochenzell begann am 20. Mai 1401, als Graf Albrecht IV. von Werdenberg mit seinem Vetter Hugo V. Brochenzell mit Gericht, Zwing und Bann, Fischenz und Wald für 840 Gulden an den Konstanzer Bürger Konrad Ruh als freies Eigentum verkaufte. Hugo V. versuchte später, die Veräusserung rückgängig zu machen, mit der Begründung, Brochenzell sei als Bestandteil der Grafschaft Linzgau Reichslehen und könne nur durch den König verliehen werden. Der König gab dem Begehren statt und belehnte Hans von Hewen, einen Neffen Hugos V., mit der Herrschaft Bro-chenzell. Bald darauf, in einem nicht zu bestimmenden Jahr, kaufte Graf Wilhelm IV. von Montfort (1408-1439) die Herrschaft. Die vier Söhne Wilhelms IV. teilten das väterliche Erbe paarweise: Brochenzell fiel mit den Allgäuer Besitzungen, mit Wasserburg und Argen an Rudolf VII. und Hugo X. Nachdem Rudolf bereits 1445 gestorben war, verkaufte Hugo, sicherlich wegen finanzieller Schwierigkeiten, die Herrschaft 1447 an Ital Humpis d. Ä. und dessen Vetter Jos Humpis d.J., zwei Mitglieder eines reichen Ravensburger Kaufmannsgeschlechts. Da die Herrschaft Reichslehen war, mussten die beiden neuen Besitzer am 5. Februar 1448 in Ravensburg vor dem Truchsess Jakob von Waldbürg als dem Vertreter des Königs den Lehnseid leisten.
Die Humpis erweiterten ihren Besitz durch Kauf des Niedergerichts zu Sammletshofen von den Herren von Arnsberg. 1467 erwarben sie den restlichen Wald „Schwaderloch“ von den Werden bergern. Als 1536 die ältere Linie des Hauses Humpis erlosch, gelangte die Herrschaft Brochenzell an Jakob Humpis von Siggen. Seine Söhne Hans-Jakob und Hans-Sigismund waren die Stammväter der Nebenlinien Brochenzell und Siggen. Der letzte der Brochenzeller Linie, Franz Adal-bert, beschloss sein Leben 1695 im Stift zu Elhvangen. Er hatte die Herrschaft Brochenzell am 16. August 1683 für 1500 Gulden an Marquard Jakob Humpis von Siggen verkauft. Das ehemals wohlhabende Kaufmannsgeschlecht der Humpis war inzwischen verarmt, so dass Marquard Jakob 1710 seine Güter zu Brochenzell für 6200 Gulden an das Kloster Weingarten verkaufen musste. 1714 verpfändete er die Herrschaft dem Kloster. Am 20. August 1721 verkaufte Marquard Jakob schliesslich sein Rittergut und somit seinen letzten Besitz in der Herrschaft Brochenzell für 34500 Gulden an Weingarten. Das Kloster erhielt im Jahre 1740 auch das Hohe Gericht über die Herrschaft, das zuvor bis ca. 1500 bei den Grafen von Heiligenberg-Werdenberg und danach in den Händen der Landvogtei gelegen hatte.
Mit dem übrigen Besitz des Klosters Weingarten gelangte Brochenzell 1803 an das Haus Nassau-Uranien als Entschädigung für dessen verlorenen rechtsrheinischen Gebiete. 1804 verkauften die Ora-nier ihren Weingartener Besitz an Österreich, die ihre Gebiete in Oberschwaben im Pressburger Frieden vom 26. Dezember 1805 an Württemberg abtreten mussten. Brochenzell bildete zunächst eine eigene Schultheisserei, kam dann zu Eggenweiler und 1823 zur neu gebildeten Gemeinde Ettenkirch. 1937 wurde das Gebiet der ehemaligen Herrschaft Brochenzell der Gemeinde Meckenbeuren zugeordnet. Die folgenden Ortsteile und Höfe waren über Jahrhunderte hinweg Bestandteile der Herrschaft Brochenzell: Brochenzell selbst, Holzhauer, Hungersberg, Laufenen, Regler, Reuter, Sammletshofen, Stengele und Weiler.

Das Geschlecht der Humpis

Die Humpis waren ursprünglich welfsche Dienstmannen und in Altdorf (Weingarten) ansässig. Im 13. Jahrhundert siedelten sie nach Ravensburg über und kamen hier bald durch Handel und Übernahme von Amtsgeschäften zu beachtlichem Ansehen und Wohlstand. Frick Humpis war bis zu seinem Tode im Jahre 1346 sogar kaiserlicher Landvogt in Oberschwaben. Mit der Kaufmannsfamilie Mötteli zählten die Humpis zu den Gründern der Grossen Ravensburger Handelsgesellschaft und stellten wie diese eine Reihe von Ammännern, Bürgermeistern und Regierenden der Handelsgesellschaft. Das Vermögen, das sie sich durch ihre weitreichenden Handelsbeziehungen im Laufe der Zeit erworben hatten, sicherten sie, wie es auch andere Patrizierfamilien taten, durch den Erwerb von Grundbesitz. Sie kauften, besonders auch vom verarmten Landadel, verschiedene Besitzungen im Allgäu und in Oberschwtfben und nahmen schliesslich auch die Lebensgewohnheiten der Landadeligen an. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts teilten sich die Humpis in zwei Linien, die nach den Farben der drei Hunde in ihren Wappen die weisse und die schwarze Linie genannt wurden. Jos II. (der Alte; † 1444) war der Stammvater der weissen Linie, sein Bruder Frick II. († 1434) gründete die schwarze Linie.
Jos III. (der Junge), Sohn von Jos II., kaufte 1453 die Herrschaft Ratzenried. Seine Söhne gründeten zwei weitere Unterlinien: Jos V. war der Stammvater der Ratzenrieder Linie, die mit Albert Humpis zu Ratzenried im Jahre 1647 ausstarb. Der zweite Sohn von Jos II., Jakob II., gründete die Wetzelrieder Linie. Sie hatte bis 1813 Bestand.
Die schwarze Linie setzte sich mit Fricks II. Sohn Ital II. (dem Älteren) fort. Auch seine Söhne waren die Gründer von weiteren, insgesamt vier Unterlinien: Hans VI. war der Stammvater der Pfaffenweiler Linie, Jos IV. jener der Senftenauer. Beide Zweige starben um die Mitte des 16. Jahrhunderts aus. Hals II. Sohn Frick IV. war der Stammvater der Waltramser Linie, von der sich im Laufe der Jahre weitere kurzlebige Nebenlinien abzweigten. Die Waltramser Linie lebt heute noch in Waltrams, Landkreis Oberallgäu, fort. Der vierte Sohn Itals II., Jakob I., erhielt das 1433 erworbene Kemptener Lehen Siggen im Allgäu und nannte sich fortan nach diesem. Sein Urenkel Hans-Jakob war der Begründer der Brochenzeller Linie der Humpis, die 1695 ausstarb. Die Siggener Linie erlosch im Jahre 1743 mit Karl Anton Johann Humpis.

Die Humpis als Besitzer der Herrschaft Brochenzell

Ital II. (der Ältere) und sein Vetter Jos III. (der Junge) kauften im Jahre 1447 die Herrschaft Brochenzell von Graf Hugo X. von Montfort. In der Folgezeit erscheint die Herrschaft im Besitz der Siggener Linie der Humpis. Als Eitel-Hans, Sohn des Begründers der Siggener Linie, 1536 starb, - sein einziger Sohn Hans-Jakob war verschollen - verkaufte seine Witwe Barbara geb. von Sengen Brochenzell für 4000 Gulden an Jakob Humpis von Siggen. Jakobs Sohn Hans-Jakob gründete die Unterlinie Brochenzell. Nachdem sein Enkel Hans-Werner Humpis ledig verstorben war, ging die Herrschaft Brochenzell an dessen Bruder Franz-Adalbert über. Franz-Adalbert verkaufte die Herrschaft am 16. August 1683 für 1500 Gulden an seinen entfernten Vetter Marquart-Jakob. Er selbst war Senior des Stiftes zu Ellwangen. Mit ihm starb 1695 der letzte Spross der Brochenzeller Linie.
Marquart-Jakob Humpis, „Freiherr von Waltrams, Herr zu Siggen und Brochenzell, Hochfürstlich Geheimer Rat und Präsident zu Heiligenberg war der letzte aus dem Hause Humpis, der im Besitz der Herrschaft Brochenzell war. Das einst blühende und reiche Kaufmannsgeschlecht war im Laufe der Jahrhunderte mehr und mehr verarmt. Marquart konnte die Herrschaft Brochenzell nicht mehr halten. Irn Jahre 1710 verkaufte er seine eigenen Güter für 6200 Gulden an das Kloster Weingarten und verpfändete dem Gotteshaus 1714 die Herrschaft für weitere 3000 Gulden. Den Schlussstrich unter die Ära der Humpis in Brochenzell setzte Marquart schliesslich im Jahre 1721 mit dem Verkauf seines „adeligen Rittergutes Brochenzell“ für 34500 Gulden an das Kloster Weingarten.